
Cichorium intybus L. – Gemeine Wegwarte
Die großen, kräftig blauen Blüten mit den vielen, zierlich schmalen, an den Enden ausgefransten Blütenblättern haben schon vor vielen hundert Jahren die Fantasie der Menschen beflügelt. Hundslauf, Verfluchte Jungfer, Sonnenwirbel, Sonnenbraut, Vogelleuchte, Wandelistengel, Wasserwart, Zichorie oder eben Wegwarte sind nur einige Namen, die diese Pflanze im Laufe ihrer Geschichte in der deutschen Sprache erhalten hat. (Pritzel/Jessen) Einige von ihnen lassen auch schon die Geschichten erahnen, die diese Blume umranken.
Beschreibung
Bei der Wegwarte handelt es sich um eine ausdauernde, krautige Pflanze, die zur Familie der Korbblütler gehört. Die Blüten dieser schönen Blume erreichen einen Durchmesser von etwa drei bis vier Zentimetern und bestehen ausschließlich aus hellblauen Zungenblüten. Die Stängel sind sparrig verzweigt und rauhaarig. Sie blüht von Juli bis September und kann bis zu eineinhalb Metern Höhe erreichen. Zu finden ist die Pflanze vor allem an Wegrändern, worauf auch schon ihr Name hinweist. (Aichele/Golte-Bechtle, 360). Da sie ihre Blüte am Stand der Sonne ausrichtet und mit dieser mitwandert, wurde sie auch Sonnenwirbel oder Wandlistengel getauft.

Verwendung damals …
Der Mensch nutzt die Wegwarte schon seit langer Zeit und auf vielfältige Weise, als Gemüse oder Heilpflanze. Angeblich waren ihre unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten bereits in der Antike bekannt. Später empfiehlt Hildegard von Bingen in der Mitte des 12. Jh. die Einnahme zur Linderung von Heiserkeit und Verstopfung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam verbreitet der Zichorienkaffee, auch Muckefuck (Verballhornung des frz. ‚mocca faux‘) genannt, in Mode. Er wird aus der Wurzel der Wegwarte gewonnen und kam vor allem zur Streckung des teuren Bohnenkaffees zum Einsatz. Auch heute ist dieses Produkt noch im Handel erhältlich, vor allem beliebt, weil der Zichorienkaffee koffeinfrei ist.
… und heute
Und bis heute landen Gartenzüchtungen des blauen Korbblütlers auf unseren Tellern, beispielsweise als Chicorée, Radicchio oder Zuckerhut. Dies brachte ihr 2005 den Titel ‚Gemüse des Jahres‘ ein. Im Jahr 2009 gewann sie zusätzlich den Titel ‚Blume des Jahres‘ und wurde im Jahr 2020 zur ‚Arzneipflanze des Jahres‘ gekürt, denn die Wegwarte wird noch heute gegen vielerlei Beschwerden eingesetzt, angefangen bei Magen-Darm- oder Lebererkrankungen, über Hautkrankheiten bis hin zur Behandlung entzündeter Gelenke. Ihre besondere Wirkung verdankt sie vor allem ihren Bitterstoffen. (Aichele/Golte-Bechtle, 360)

Bezaubernd …
Außerdem werden der Pflanze verschiedene Zauberkräfte nachgesagt, die angeblich besonders in ihrer seltenen weißen Form große Wirkung entfalten. Zum Einsatz kam sie so als Schutzmittel oder als Bestandteil in Liebestränken oder Flugsalben. All das allerdings nur, wenn man sich an die Rituale rund um die Ernte hielt. Dank ihrer blauen Farbe kommt sie auch als Kandidatin für eines der bekanntesten und stärksten Zauberkräuter in Betracht, nämlich für das sagenumwobene Springkraut, dessen botanische Zuordnung bis heute ungeklärt ist. (Volkmann, 209-211)


… und Legendär
Auch in der Literatur hat sie ihren Platz. Ihre großen blauen Blüten bringen ihr den Ruhm ein, Vorbild für die ‚Blaue Blume‘ der Romantik zu sein. (Volkmann, 209) Nach einer bekannten Legende des Volksmundes, von der es unterschiedliche Spielarten gibt, handelt es sich bei der Wegwarte um eine verzauberte Jungfrau, die am Wegesrand auf ihren Liebsten wartet. (Volkmann, 210) Bei diesem Liebsten soll es sich, in einer Variante aus Rumänien, um die Sonne persönlich handeln, weshalb man sie auch Sonnenbraut nennt.
Die Wegwarte ist also schon eine alte und vielseitige Begleiterin der Menschheit, der die Fähigkeiten der Pflanze zugute kommen. Gleichzeitig wird hier klar, wie sehr der Mensch Pflanzen unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit betrachtet. Sie soll ihm, dem Menschen, in erster Linie einen Vorteil bringen. Sättigen, heilen, Durst stillen, Beziehungsprobleme lösen, berauschen, unterhalten, … Das zeigen auch die Auszeichnungen, die die Wegwarte in jüngster Zeit erhalten hat. Spätestens in den Legenden wird deutlich, dass das pflanzliche Dasein geringer geachtet wird, als das Menschliche. Aber mit welchem Recht geschieht dies? Und vor allem, welche Fähigkeiten und Perspektiven entgehen uns durch unsere menschliche Betrachtungsweise? Wie viel haben wir tatsächlich vom Dasein der Pflanzen zu Gesicht bekommen und verstanden?