
Die kleine Aster novae-angliae L.
Kleine Aster
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
Zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!
– Gottfried Benn (1912)
Das Gedicht „Kleine Aster“ von Gottfried Benn gehört zu einer Reihe von Gedichten aus dem Gedichtband Morgue (1912), die nicht nur sehr bekannt sind, sondern auch für einen Skandal sorgten. Benn verfasste das Gedicht, nachdem er im Moabiter Krankenhaus einen Sektionskurs belegt hatte. Hier wird die routinierte Untersuchung einer Leiche zu einer einprägsamen Begegnung mit einer kleinen Aster. Man könnte vermuten, dass Benn für dieses Gedicht eine Aster gewählt hat, da Astern als Herbstblumen gerade dann, wenn alle anderen Blumen verblüht sind, selbst erst anfangen zu blühen und durch ihr Farbspiel der Natur noch einmal Leben einhauchen. Bei dem Exponat handelt es sich zwar nicht mehr um eine belebte Aster, doch trotzdem gibt es viel über dessen Leben zu erfahren.
Die Aster novae-angliae L., zu Deutsch die Neuenglische Aster oder auch Raublatt-Aster, wurde von Eduard Heinrich Ohler (*1837, †1909) in Frankfurt am Main gesammelt. Als studierter Chemiker hatte Ohler ein ausgeprägtes Interesse an der Wissenschaft und gehörte seit 1906 der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft an. So fand das Exponat seinen Weg in das Herbarium Senckenbergarium, dessen Forschungsschwerpunkte in der Biodiversität und der Evolutionsbiologie liegen und es sich zum Ziel gemacht haben pflanzliche Arten genauer zu erforschen und nachhaltig zu schützen.


Es sind zwei Exemplare dieser Pflanze konserviert worden. Sie sind zwischen 20 und 30 cm lang. Der Stängel sieht hölzern aus, ist mit feinen Härchen bestückt und dicht mit schmalen, spitzzulaufenden Blättern versehen. Unregelmäßig gehen Abzweigungen vom Stängel ab, welche, wenn sie blühen meist in lilanen Blüten enden. Dieses Exemplar trägt gelbe, löwenzahnähnliche Köpfchen, bei denen handelt es sich um den Blütenstand. Diese sind am Kopf der Pflanze in großer Zahl zu finden.
Auf dem Etikett befindet sich die lateinische Bezeichnung „Aster novae-angliae“. Bei der Pflanze handelt es sich um einen Mehrzeller (Eukaryota), welcher zu den Samenpflanzen (Spermatophyta)und der Gattung der Korbblüter (Asteraceae)gehört. Der spezifische Begriff „Aster novae-angliae“ bezeichnet dieRaublatt-Aster.
Die Astern kamen ursprünglich aus Nordamerika und ihr erstes Auftreten in Deutschland wurde 1787 dokumentiert. Damals waren Astern jedoch schon so bekannt, dass man sie lange Zeit für einheimische Pflanzen hielt. In Frankfurt am Main wurden ihr Auftreten erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Die novae-angliae breitet sich vor allem am Ufer von Flüssen, dem Main und der Nidda, sowie auf Brachflächen aus. Über 180 Arten der Aster sind heute bekannt, allerdings lassen sie sich aufgrund ihrer morphologischen Ähnlichkeit häufig nur schwer voneinander unterscheiden. Besonders ist dabei jedoch die novae-angliae, welche sich vor allem durch ihre drüsige Behaarung von den anderen Astern abhebt. Heute gehören die Astern fest zum Bestand der Frankfurter Flora.