Biotop

Der Begriff „Biotop“ weckt bei vielen nicht mehr als eine vage Erinnerung aus dem Biologieunterricht. Bilder von Teichen und kleinen Gewässerarealen mit viel Biomasse erscheinen wohlmöglich vor dem inneren Auge, aber was genau ist denn nun noch einmal ein Biotop?

Der Begriff, welcher sich aus den griechischen Worten bíos (Leben) und tópos (Gegend/Raum) zusammensetzt, wurde in der Wissenschaft das erste Mal 1908 von dem Zoologen Friedrich Dahl verwendet: „Will man nicht nur die Tiere, sondern auch die Pflanzen in die Bezeichnung einschließen, so kann man die deutschen Worte ‚Gewässer- und Geländearten‘ als ‚Biotope‘ wiedergeben“. 1996 definiert der Botaniker Gerhard Wagenitz das Biotop als „das gemeinsame Habitat vieler Arten“.

Allgemein lässt sich also feststellen, dass ein Biotop ein Lebensraum von Lebewesen ist. Genau hier liegt aber auch das Problem. Ein derart weit gefasster Begriff ist schwierig zu greifen, denn vom strengen Wortsinn her, ist das Biotop ein wertfreier, aber auch rangloser Oberbegriff, in welchem alle abgrenzbaren Räume auf der Erde, in denen Leben stattfindet, eingeschlossen sind. Leben findet wiederum in verschiedenen Organisationsstufen statt und unterliegt einer gewissen hierarchischen Struktur. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, bedürfte es eigentlich einer differenzierten Begriffsbildung, einer Typisierung von Biotopen. „Biotop“ beschreibt eine unhierarchische Einheit, welche sich sowohl auf einen konkreten Lebensraum als auch auf einen daraus abgeleiteten Typus anwenden lässt – auf allen Organisationsebenen des Lebens – weshalb es eigentlich nicht des Zusatzes „-typ“ bedarf, sondern einer genaueren (begrifflichen) Unterscheidung.

Es lässt sich jedoch uneingeschränkt sagen, dass von ‚Biotop‘ nur dann gesprochen werden kann, wenn ein Raum durch eine bestimmte, in ihm agierende Lebensgemeinschaft an Organismen (Biozönose) definiert ist und sich von anderen räumlichen Umwelten und anderen Lebensgemeinschaften klar abgrenzen lässt. Das Biotop ist immer mit Leben gefüllt, erst durch seine Bewohner:innen wird ein biogeographisch definierter Bereich zum Biotop. Dabei ist es gleichgültig, ob das Biotop „natürlich“ in der Natur vorkommt oder künstlich vom Menschen geschaffen ist; auch eine „Betonwüste“ kann ein Biotop sein. Des Weiteren lässt sich ein Biotop immer, durch seine jeweils besondere Beschaffenheit, eindeutig von seiner Umgebung unterscheiden. Biotop und Biozönose bilden zusammen ein Ökosystem. Viele Tierarten nutzen im Laufe ihrer Entwicklung unterschiedliche Biotope (z.B. für Fortpflanzung, Nahrungssuche oder Überwinterung). Im Gegensatz dazu lassen sich Pflanzenarten in der Regel eindeutig einem abgegrenzten Biotop zuordnen.

In der Praxis erfolgt die Unterscheidung von Biotopen oft anhand der leicht fassbaren abiotischen Bedingungen (z.B. Fluss, Wüste, oder Stadtlandschaft) und nicht an den beherbergten Organismen, da sich diese häufig erst auf den zweiten Blick zeigen.

Beispiele für Biotope sind:

  • Feuchtbiotop (Moore, Sümpfe, Röhricht, Watt- und Boddenlandschaften (an den Küsten))
  • Freilandbiotop (Blumenwiesen, Salzwiesen, Streuobstwiesen, Trocken- und Feuchtwiesen)
  • Waldbiotop (Auenwald, Bruchwald, Nadelwald, Sumpfwald)
  • Wasserbiotop (Stillgewässer (Teiche, Tümpel, Seen, Weiher) undFließgewässer (Bäche, Flüsse, Flussufer))
  • Wüstenbiotop (Fels-, Kies-, Sand- oder Steinwüsten, Eis- oder Salzwüsten)
Abb. 2: Ein Wasserbiotop

Die Vernichtung und menschliche Aneignung von Biotopen bringen einen erheblichen Anstieg der Artengefährdung und des Verlusts von Biodiversität mit sich. Da der Schutz von Lebensräumen nicht nur der Erhaltung von Pflanzen und Tieren dient, sondern am Ende auch der des Menschen selbst, stehen einige Biotope nach § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) in Deutschland unter gesetzlichem Schutz.

Im Gegensatz zu der Lebensweise der westlichen Welt, schützt die Lebensweise vieler indigener Gemeinschaften sogar die Vielfalt unseres Planeten. Der Anthropologe Mac Chapin stellt fest: „Indigene Völker leben in den meisten der Ökozonen, um deren Erhalt die Umweltschützer so eifrig bedacht sind.“ Untersuchungen des WWF ergaben, dass indigene Völker in 95 Prozent der für globalen Umweltschutz kritischen 238 terrestrischen Ökozonen siedeln. Allerdings ist das räumliche Zusammenfallen von relativ intakten Ökozonen mit hoher Biodiversität und den (verbleibenden) Territorien indigener Völker nicht zufällig. Die Vielfalt und der ökologische Reichtum dieser Gebiete hängen direkt mit der Lebensweise der indigenen Völker zusammen, da sie eine traditionelle spirituelle Beziehung zu ihrem Lebensraum pflegen und entsprechend in ihm leben. Unter dem Deckmantel des Biotop- und Artenschutzes wurden viele indigene Völker aus ihren Lebensräumen vertrieben und auch heute noch ferngehalten. Ein Beispiel dafür ist der Yellowstone-Nationalpark, welcher als „Natur pur“ und „ursprüngliche Wildnis“ betrachtet wird, aus welchem aber die Lakota, Shoshone und andere indigene Völker, die hier ursprünglich die Artenvielfalt und das ökologische Gleichgewicht erhalten haben, vertrieben wurden.

Abb. 3: Yellowstone-Fluss mit Wasserfall

Auch in Literatur, Kunst und Kultur werden Biotope immer wieder thematisiert. Natürlich gibt es zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Artikel und Literatur zu Biotopen, aber auch in Prosa und Lyrik tauchen Biotope häufig als Schauplätze auf. Auch im übertragenen Sinn wird in der Literatur von Biotopen gesprochen, beispielsweise spielt das Stück „Das Paradies der Ungeliebten“ von Robert Menasse in einem „Biotop staatspolitische Fäulnis“. Teilweise wird von Literatur selbst als Biotop gesprochen, so stellt der Autor Bernhard Hennen die Frage, ob es sich bei phantastischer Literatur um ein Biotop für Weltenflüchter handelt. Das Institut für Japanologie der Goethe Universität spricht von der Stadt Frankfurt als „literarisches Biotop“.

Seit 2002 findet in Darmstadt alle zwei Jahre die Kunstausstellung „Internationale Waldkunst“ statt. 2014 stand sie unter dem Motto „Kunst Biotope“ und beschäftigte sich mit Biotopen als Lebensraum für Tiere, Pflanzen, Menschen und Künstler. Bei der Ausstellung erstellten die Künstler Kunst Biotope im Wald und betrieben künstlerische Feldforschung. In „traditioneller“ Kunst werden oft Biotope dargestellt und auch in der Fotografie sind sie ein beliebtes Motiv. Im Internet lassen sich sogar Anleitungen finden, um sich ein eigenes kleines Biotop im Glas zu erschaffen.

Literaturangaben:
Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Besonders geschützte Biotoptypen nach § 30 BNatSchG. https://www.bfn.de/themen/gebietsschutz-grossschutzgebiete/besonders-geschuetzte-biotoptypen-nach-30-bnatschg.html (05.01.2022).
Dahl, Friedrich: Grundsätze und Grundbegriffe der biocönotischen Forschung. In: Zoologischer Anzeiger. Nr. 33. Leipzig 1908, 349-353.
Haeupler, Henning: Die Biotope Deutschlands. In: Schriftenreihe für Vegetationskunde. Nr. 38. Bonn 2002, 247-272.
Hennen, Bernhard: Ist die phantastische Literatur ein Biotop für Weltenflüchter? (2019), https://www.tor-online.de/feature/buch/2019/10/von-weltenfluechtern-und-weltenschoepfern/ (05.01.2022).
Jachomowski, Ines: Biotop – so verschaffen sie Pflanzen und Tieren wertvolle Lebensräume. https://www.gartenjournal.net/biotop (05.01.2022).
Kuppe, René & Yuquilema Yupangui, Verónica: Indigene Völker als „Hüter der Artenvielfalt (2020), https://news.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/indigene-voelker-als-hueterinnen-der-artenvielfalt/ (05.01.2022).
Menasse, Robert: Das Paradies der Ungeliebten. Ein Schauspiel. Frankfurt am Main 2006.
Reich, Michael: Biotop. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung. Hannover 2018, 261-265.
Ritschel, Ute: Kunst Biotope. https://2014.waldkunst.com/kunst-biotope (05.01.2022).
Wagenitz, Gerhard: Wörterbuch der Botanik. Die Termini in ihrem historischen Zusammenhang. Jena 1996. S. 532.
 
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: Lichtsammler, https://pixabay.com/de/photos/fr%c3%bchling-obstb%c3%a4ume-bl%c3%bcten-bl%c3%bchen-4158957/, Lizenz: Pixabay License.
Abbildung 2: Peggy Choucair, https://pixabay.com/de/photos/teich-gew%c3%a4sser-biotop-wald-5167938/, Lizenz: Pixabay License.
Abbildung 3: ArtTower, https://pixabay.com/de/photos/yellowstone-fluss-wasserfall-wyoming-258591/, Lizenz: Pixabay License.