
Indian Summer
Der Indian Summer bezeichnet ein Naturphänomen, genauer gesagt einen Wandel der Pflanzen und des Wetters, welches insbesondere in den gemäßigten Klimazonen Nord- und Mittelamerikas aufzufinden ist und sich üblicherweise von den kanadischen Gebirgen im Norden gen Süden ausbreitet. Während sich die warme Wetterperiode durch einen oft wolkenlosen, blauen Himmel sowie Nebel und Tau während des Morgengrauens und der Dämmerung auszeichnet, ändern die Pflanzen ihr sommerlich-grünes Gewand. So beobachtet man im Herbst ein Farbenspiel der Blätter, die sich von grün in verschiedenste Gelb-,
Orange-, Rot- und Brauntöne wandeln und somit einen starken Kontrast zum blauen Himmel bilden, der durch den Schein der tiefstehenden Sonne nochmals hervorgehoben wird. Mit dieser besonderen Herbstlaubfärbung während des Indian Summers, die auch fall foliage genannt wird, bereiten sich die Pflanzen auf den Wintereinbruch vor, indem sie unter anderem Blattfarbstoffe abbauen. Verschiedene organische Stoffe in den Pflanzenblättern führen dabei zu unterschiedlichen Färbungen der Blätter – Chlorophyllfarbstoffe färben das Laub grün, Carotinoide sorgen für eine gelb-orangene Blattfarbe und Anthocyane schließlich für eine rote bis braune Färbung der Blätter.
In Nordamerika sind vor allem Ahornbäume für das besondere Farbenspiel verantwortlich – eine besonders einzigartige Laubfärbung ist dabei beim Zuckerahorn zu beobachten, der eine besonders kräftige, rote Blattfärbung aufweist. Doch nicht alle Wälder eignen sich für eine Laubschau während des Indian Summers, da einige Pflanzen kaum eine Färbung entwickeln können. Während Laubwälder in dieser kurzen Wetterperiode vermehrt starke Laubfärbungen entwickeln, ist die Färbung in Mischwäldern bereits in stark abgeschwächter Form und verschiedenen feinen Nuancierungen zu beobachten.

Der Indian Summer ist vor allem in den zahlreichen Nationalparks zu bestaunen.
An diesen Orten werden parallel zum Naturspektakel und dem Wandel der Pflanzen unterschiedliche Aktivitäten eingeleitet. Zum einen wird beinahe zeitgleich die Jagdsaison eröffnet – hierbei wird angenommen, dass dies auf die Kultur der amerikanischen Ureinwohner und indigenen Völker des nordamerikanischen Kontinents zurückgeht, die stark im Einklang mit der Natur und dem Wetter agierten bzw. agieren und womöglich auch zur etymologischen Herkunft des Begriffes beigetragen haben könnten. Zum anderen ist der Indian Summer aber auch ein Anlass für viele Reisende die Natur zu bestaunen. In diesem Kontext gibt es sogar spezielle Reiserouten und regelmäßige Laubprognosen, denn eine genau datierte Vorhersage, wann der Indian Summer stattfindet, ist nicht möglich und Reisen zur Laubschau sind somit auch nicht genau planbar. Üblicherweise findet der Indian Summer jedoch zwischen Ende September bzw. Anfang Oktober und Mitte November statt. In dieser Zeit verspüren viele Menschen eine größere Naturverbundenheit, einen stärkeren Bezug zur Natur und eine geschärfte Wahrnehmung für die gefärbten Blätter und Pflanzen. Man könnte hierbei argumentieren, dass die Menschen während des Indian Summers ihre Plant Blindness gewissermaßen teilweise überwinden, da sie im Farbenmeer der Blätter einzelne Pflanzen und ihre individuelle Färbung, Gestalt und Schönheit entdecken. Gleichzeitig lässt sich dabei jedoch auch kritisieren, dass vor allem Pflanzen, die ihr Laub bzw. ihre Nadeln nicht farblich verändern, ungesehen bleiben und weniger Beachtung geschenkt bekommen und dadurch schließlich erneut blinde Flecken entstehen. Womöglich rücken die Pflanzen, insbesondere durch die oben genannte Jagdsaison, jedoch auch in den Hintergrund und werden vom menschlichen Beobachter als Gesamtheit betrachtet und den Tieren, die gejagt werden, untergeordnet. Dies würde im Kontext der Critical Plant Studies eine weitere Debatte eröffnen, da Pflanzen oftmals – vor allem im Vergleich zum Menschen oder Tier – ein Bewusstsein oder eine Akteurfähigkeit abgesprochen wird, obwohl sie während des Indian Summers, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt im Einklang mit dem Wetter, ihre Blattfarbe wechseln und die Blätter in weiser Voraussicht auf die kälteren Monate ablegen.

Während der Begriff Indian Summer erstmals in der Mitte des 18 Jahrhunderts im Kontext britischer Kolonien und indigener Völker auf dem nordamerikanischen Kontinent aufgezeichnet wurde, haben die Begriffsverwendung sowie das Naturphänomen bis heute immer mehr Popularität erlangt. Vergleichbare Äquivalenten zum Indian Summer sind daher ebenfalls auf anderen Kontinenten zu beobachten. Im europäischen Raum wird diese Wetterperiode und das damit einhergehende Farbenspiel der Pflanzen als „goldener Oktober“ bezeichnet. Im Vergleich zum nord- und mittelamerikanischen Kontinent ist die Blattfärbung dabei hauptsächlich gelb und orange. In Ostasien wiederum bezeichnet „Momijigari“ die Laubschau während des Indian Summers – dabei ist der strahlende Blattwandel des japanischen Ahorns ein altes, traditionelles Kulturspektakel.
Insbesondere während der letzten Jahrzehnte spiegelt sich die Begeisterung für die Laubfärbung des Indian Summers auch außerhalb des nordamerikanischen Kontinents und außerhalb von Nationalparks und Wäldern wider, denn vor allem der japanische Zierahorn und seine kräftig rote Blattfärbung ziehen vermehrt als Modepflanze in Gärten und Städte ein – so wird ein Stück des Indian Summers durch den Eingriff der Menschen an unterschiedlichste Orte und teils doch sehr unnatürliche und klimatisch andere Lebensräume gebracht. Die Pflanzen sind durch dieses anthropozentristische Handeln schließlich neuen klimatischen Bedingungen, Feinden und Gefahren ausgesetzt, mit denen sie sich während des natürlichen Indian Summers auf dem nordamerikanischen Kontinent nicht (zwingend) auseinandersetzen müssen.