Heliotropum europaeum

Abb. 1: Heliotropum europae

Heliotropum europaeum L.

  • Familie: Boraginaceae
  • Sammlung: Herbarium Senckenbergianum – Plantae
  • Sammeldatum: 19. Jahrhundert
  • Fundort: Lorch
 
 
 

Über den Sammler: Leopold Fuckel lebte von 1786 bis 1864 und war ab 1851 Mitglied des Vereins für Naturkunde des Herzogtums Nassau. Während seiner dortigen Mitgliedschaft verfasste er „Nassau‘s Flora: Ein Taschenbuch zum Gebrauche bei botanischen Excursionen in die vaterländische Pflanzenwelt“. Über das Heliotropum europaeum steht dort: „Bl. weiss oder hell-violett. Juli, August. In Weinbergen und auch Aeckern. Bis jetzt nur im unteren Rheingau bis Braubach und b. Wiesbaden im Nerothal.“

Heliotropum europaeum – Der Inbegriff des pflanzlichen (Über-)Lebens

Den meisten Menschen bleibt das Eintauchen in die Pflanzenwelt über den Biologieunterricht hinaus leider verwehrt. Doch eines lernt man dort sicher: Pflanzen wachsen immer in Richtung der Sonne, um besser Photosynthese betreiben zu können – ein vermeintlich simpler Prozess, der jedoch von immenser Bedeutung für die Pflanzen und die Welt um sie herum ist. Für das Heliotrop ist dieser Prozess sogar so kennzeichnend, dass es ihn im Namen trägt, der in diesem Fall Programm ist. Abgeleitet von griechisch hélios „Sonne“ und tropein „drehen, wenden“, erhielt die Pflanze ihren Namen, der auch als „Sonnenwende“ ins Deutsche übersetzt wird. Kanngiesser gibt für diesen Namen verschiedene genauere Ursprünge an: „weil sie ihre Blüten nach der Sonne wendet, oder weil sie zur Sonnenzeit die Blütenkrone öffnet, oder weil sie zur Zeit der Sonnenwende blüht“. Tatsächlich geht es jedoch weniger um die Blüten, als vielmehr um die Blätter der Pflanze, die sich dem Lauf der Sonne anpassen. Kein Wunder, denn in den Blättern findet die Photosynthese statt – die eintönig grünen Blätter führen, die bunten Blüten, die alle Blicke auf sich ziehen, folgen.

Sehen und gesehen werden…

…,könnte man sagen, wenn man Mancuso/Viola folgen möchte. Sie bringen die Bewegung der Pflanzen zum Licht, den Phototropismus, mit dem Sehsinn von Mensch und Tier in Verbin-dung. Sie zitieren dazu diverse Lexika, in denen das Sehen zum Beispiel als „Leistung des Lichtsinns“ oder als „Wahrnehmen der in optischen Reizen enthaltenen Information über die Umgebung“ definiert ist.

Abb. 2: Animation des Aufrichtens

Im Phototropismus zeigt sich auch die Intelligenz, die Mancuso/Viola den Pflanzen zusprechen.

Sie bewegen sich nicht einfach nur in Richtung des Lichts, sondern können auch dessen Qualität und Quantität genau abschätzen, um ihre Umgebung optimal für ihr (Über-)Leben nutzen zu können. Pflanzen sind demnach keine so passiven Lebewesen wie allgemein angenommen. Möchte man diese vermeintliche Passivität positiv auslegen, könnte man sagen, dass alles, was die Pflanze tut, geradezu mühelos wirkt. Übung macht ja bekanntlich den Meister, nur dass die Übung in diesem Fall genau genommen die Evolution ist. Pflanzen haben genau gelernt, wie sie mit ihrer Energie so haushalten können, dass sich jeder Schritt in Richtung Licht auch wirklich lohnt.

Aus Liebe zum Licht

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Aktivitäten der Pflanzen tatsächlich mühelos geschehen. Vielleicht verbirgt sich hinter dieser passiven Aktivität auch die „Treue Hingabe“, für die das Heliotrop in der Blumensprache steht. Die treue Hingabe der Pflanze gilt in diesem Fall also der Sonne, die eng mit der Erhaltung der eigenen Existenz verbunden ist. Das Heliotrop liebt die Sonne und ihre Wärme sogar so sehr, dass es sich im Winter als Samen in den Boden zurückzieht, um die kalte Jahreszeit dort überstehen zu können. Doch nicht nur ihre eigene Existenz wird durch ihre treue Hingabe erhalten, sondern auch unsere. Indem wir den Sauerstoff, den Pflanzen durch Photosynthese produzieren, einatmen, atmen wir sozusagen ihren Atem. Coccia bezeichnet die Pflanzen sogar als „Atem aller Lebewesendie Welt als Atem“.

„Die Pflanzen sind der Atem aller Lebewesen, die Welt als Atem.“

Emanuele Coccia, 74.

Und, kam ihnen irgendetwas an der Pflanze bekannt vor? Erkennen Sie sich vielleicht in einigen Eigenschaften des Heliotrops wieder oder möchten sich gerne in ihnen wiedererkennen? Statt sich zwanghaft von der Pflanzenwelt abheben, beziehungsweise sich über diese erheben zu wollen, wäre es durchaus empfehlenswert, sich ein Beispiel an ihr nehmen. Angesichts der Corona-Pandemie, die aktuell die ganze Welt in Atem hält, wäre es wohl für alle am besten, wenn sich jede*r einfach zuhause verwurzeln und nur ab und zu von diesem Zuhause weg in Richtung Sonnenlicht bewegen würde, um das Welken des Gemüts zu verhindern und nicht in einer Krise zu ersticken. Dabei sollte auch uns die „Treue Hingabe“, die das Heliotrop stets an den Tag legt, nicht abhandenkommen. In einer Krise aufzublühen ist sicher eine Kunst, doch wenn wir uns, wie die Blüten der Pflanze es tun, an den Blättern orientieren, könnte es uns ganz wunderbar gelingen. Vielleicht kann die Welt dann auch bald gemeinsam wieder aufatmen.

Literaturangaben:
Coccia, Emanuele: Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen. Übers. v. Elsbeth Ranke. München 2018 (frz. 2016).
Fuckel, Leopold: Nassau’s Flora. Ein Taschenbuch zum Gebrauche bei botanischen Excursionen in die Vaterländische Pflanzenwelt. Wiesbaden 1856.
Hodvina, Sylvain: Gottlieb Wilhelm Karl Leopold Fuckel (2012), https://botanik-hessen.de/Pflanzenwelt/bio/Fuckel/Fuckel.html (03.02.2021)
Kanngiesser, Friedrich: Die Etymologie der Phanerogamennomenclatur. Eine Erklärung der wissenschaftlichen, der deutschen, französischen, englischen und holländischen Pflanzennamen. Gera 1908.
Kranz, Isabel: Sprechende Blumen. Ein ABC der Pflanzensprache. Berlin 2014.
Mancuso, Stefano/Viola, Alessandra: Die Intelligenz der Pflanzen. Übers. v. Christine Ammann. München 2015 (ital. 2015).
o.V.: Therophyt (o.J.), https://www.biologie-seite.de/Biologie/Therophyt (22.01.2021)       
Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: (c) Herbarium Senckenbergianum Frankfurt/M. (FR).
Abbildung 2: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Salbei-St%C3%A4ngel_Animation.gif, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Salbei-Stängel Animation.